oder der Versuch, die eigene Geschichte und Sozialisation
Meine erste ästhetische Ausbildung begann im Arbeitszimmer des Regierungsrats, bei dem meine Mutter putzte. Im Clubsessel des Herrenzimmers sitzend las ich die Meckicomics in der Hörzu und bewunderte die auf einem roten Kissen drapierten Kriegsorden des Hausherrn.
Wieder zuhause habe ich dann gefragt, warum wir keine Clubsessel haben.
Mein Vater, gelernter
                    ostpreussischer Bauer und praktizierender Dorfpolizist bekam die ersten Sorgenfalten
                    ob meiner Fragen: der Jung wird doch wohl kein Linker werden.
Auch mein Opa, Heizer in den Steinzeugwerken und Feierabendbauer konnte mir meine Frage nicht beantworten; er schüttelte den Kopf, beendete dann seine Arbeit des Jauchefassbefüllens aus unsrem Plumpsklo, spannte sich vor seinen Handpflug und lud mich ein, diesen mit meinem Körpergewicht zu beschweren.
Ich fands toll und hab mich erst später gefragt, wo der dünne Mann die Kraft hernahm nach einem Arbeitstag als Heizer in der Keramikfabrik noch den grossen Nutzgarten und den Acker für das Tierfutter zu bestellen.
Sehr viel später fragte mich mein Vater, ob ich es vorziehe im Dreck zu arbeiten oder als Chef, immer gut gekleidet, Aufträge an andere zu vergeben. Hätte ich gewusst, daß dazu der Besuch des Gymnasiums nötig war, hätte ich etwas besser und länger überlegt.
Meine Ausbildung für einen Aufstieg in die höheren Klassen begann in der Sexta eines humanistischen Gymnasiums und kostete meine Eltern 1/5 des Gehalts meines Vaters, was dazu führte, daß sie zu Monatsbeginn immer mit besorgtem Blick lange Listen führten, deren höchster Betrag immer die Raten für die ABC-Bank waren.
So erlernte ich dann neben der Vorbereitung auf den weisse-Kragen-Job auch die Arbeit des Bauhilfsarbeiters und das „Knollerötche“ (Rüben einzeln). Mein Vater verstärkte dann ungewollt meine rebellischen Tendenzen, indem er nach einem langen Arbeitstag auf dem Rübenfeld auf das Feld pinkelte mit den Worten: „Oh Herr ich danke Dir, daß Du uns die Kraft gegeben hast, dem „drekelije Buur die Knolle ze rötche“ (dem dreckigen Bauern die Rüben zu einzeln). Er sprach, als Ostpreusse, fehlerfreies Eifeler Platt.
Nachdem ich das Gymnasium mit einigem Misserfolg absolviert hatte, da auch das Beten und Opfern eines Groschens im Waldkapellchen nicht geholfen hatte, das zweite Sitzenbleiben in der gleichen Klasse zu verhindern, wurde ich auf die Handelsschule in Euskirchen entsorgt (wg. des weisse-Kragen-Jobs). Aber immerhin fast Grossstadt (Euskirchen).
Aber dann: kfm Stift (Auszubildender) in KÖLN, boh eh. Ich war in der Grossstadt, alles andere war nur Nebensache.
Na ja, nach einem nicht so sehr erfüllten Leben als kfm. Angestellter, Buchhalter und Programmierer
                    wollte
                    ich
                    mit
                    35 noch ein paar eckige Runden drehn:
                    Nach 3 Jahren Abendgymnasium erteilte man mir die Studienberechtigung (reif bin ich hoffentlich noch
                    lange
                    nicht).
                    Als gestandener 68er kam als Studium natürlich nur Sozialarbeit in Betracht.
 Ich habe aber zuerst ein freiwilliges Praktikum beim SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln)
                    absolviert.
                    (die SSK wurde u.a. von Heinrich Böll unterstützt)
                    Ich habe heute noch eine gewaltige Hochachtung vor den Sozialarbeitern, die zusammen mit ihren
                    „Kunden“
                    einen Kohlenhandel und eine Entrümpelungs- und Umzugsfirma betrieben. Die Erträge aus dieser Arbeit
                    wurden
                    zu gleichen Teilen verteilt. Da eine staatliche Finanzierung der SSK keinerlei Freiheit in der
                    Sozialarbeit
                    und damit eine reine Verwaltung des Elends bedeutet hätte, verzichtete man bewusst auf Hilfe des
                    Staates,
                    um
                    durch selbstverwaltete Arbeit auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben der Mitglieder
                    vorzubereiten.
                    Ich war und bin zu sehr Kleinbürger um mich, unter Zurückstellung eigener Interessen, total dieser
                    Arbeit
                    zu
                    widmen. Ich hätte es allerdings auch nicht mit meinem Job vereinbaren können (sagt der „Bobo“
                    (Bohémien
                    Bourgeois) in mir entschuldigend).
                    Nach verschiedenen Experimenten: Soziologie in Duisburg, Volkswirtschaft in Köln u.a. habe ich mich
                    dann
                    im
                    Fachbereich freie Kunst der Werkkunstschule Köln eingeschrieben.
                    Nach dem Elementarstudium habe ich als erste eigene Arbeit die Porträtserien der Hooligans und
                    Skinheads
                    erstellt. Das ich einige der Hooligans vom Praktikum her kannte, hat mir bei der Arbeit sehr
                    geholfen.
                    Meine
                    vollständige Integration ins Milieu ist allerdings der Polizei gelungen, indem sie mich mit einem
                    Greiftrupp
                    aus der Südkurve heraus verhaftete, was aufgrund der Projektion auf dem Stadionbildschirm im ganzen
                    Stadion
                    zu sehen war und auch in der Sportschau übertragen wurde. Ich war durch diese Aktion vom Nobody zum
                    Promi
                    im
                    Milieu geworden.
 Um die Szene und auch mich selbst in dieser Szene etwas besser verstehen zu können, habe ich mich
                    dann bei
                    der FernUni Hagen für ein Magisterstudium mit Hauptfach Soziologie und den Nebenfächern Philosophie
                    und
                    Psychologie eingeschrieben. Das Hauptfach habe ich dann später in Philosophie geändert.
                    Da Kunst und Philosophie nur in seltenen Fällen den Lebensunterhalt ermöglichen, habe ich während
                    dieser
                    Zeit auch gearbeitet, was die Studiendauer auf 20 und mehr Semester verlängerte, was ja zu dieser
                    Zeit,
                    Bakunin
                    sei Dank,
                    noch
                    möglich war.
                    Es gab auch ein paar Ausstellungen.
....noch nich fertich!!
                
Bertolt Brecht
Me-Ti:
                    Über reine Kunst
Me-Ti sagte: Neulich fragte mich der Dichter Kin-jeh, ob er in diesen Zeitläuften Gedichte über
                    Naturstimmungen schreiben dürfe. Ich antwortete ihm: Ja.
 Als ich ihn wieder traf, fragte ich
                    ihn, ob
                    er Gedichte über Naturstimmungen geschrieben habe. 
Er antwortete: Nein. 
Warum, fragte ich.
                    
Er
                    sagte:
                    Ich stellte mir die Aufgabe, das Geräusch fallender Regentropfen zu einem genußvollen Erlebnis des
                    Lesers zu machen. Darüber nachdenkend und hie und da eine Zeile skizzierend, erkannte ich es als
                    nötig, dieses Geräusch fallender Regentropfen für alle Menschen, also auch für solche Menschen zu
                    einem genußvollen Erlebnis zu machen, die kein Obdach besitzen und denen die Tropfen zwischen Kragen
                    und Hals fallen, während sie zu schlafen versuchen. Vor dieser Aufgabe schreckte ich zurück.
                    Die Kunst rechnet nicht nur mit dem heutigen Tag, sagte ich versucherisch. Da es immer solche
                    Regentropfen geben wird, könnte ein Gedicht dieser Art lange dauern. 
Ja, sagte er traurig, wenn
                    es
                    keine solche Menschen mehr geben wird, denen sie zwichen Kragen und Hals fallen, kann es geschrieben
                    werden.
                
